Waldgeflüster

Interviewpartner: P. und Winterherz
Fragen von: Twilightheart

Zeit: 3. Juli 2011/ per E-Mail

 

Es gibt ein neues Waldgeflüster-Album. Während „Herbstklagen“ noch von „Winterherz“ geschrieben wurde, hat sich nun sein Bruder „P.“ der Band angeschlossen, zumindest für das neue Album „Femundsmarka“ (was die Zukunft bringt, wird sich zeigen). Grund genug, die Brüder zum Interview zu bitten, zumal sie mit ihrem neuen Album mal wieder ein sehr faszinierendes erschaffen haben.

Sheol: Eure Reise, die auf "Femundsmarka" verarbeitet wurde, ging nach Norwegen. In anderen Interviews wurde bereits ausführlich davon berichtet. Was mich zusätzlich noch interessiert, ist, ob es nur darum ging, wo es die schönste (bzw. für eure Reise passendste) Natur gibt, oder ob ihr auch zur Geschichte Skandinaviens oder den Menschen dort einen Bezug fühlt. Schließlich ward ihr ja mehr als einmal da, wie unserem Interview von 2009 zu entnehmen ist. 

Winterherz: Grüß dich. In erster Linie ging es darum einen Ort zu finden, an dem man ungestört die Kraft der Natur genießen kann, auf sich alleine gestellt sein, keinen Menschen zu sehen und sich in totaler Einsamkeit dieser Herausforderung stellen zu können. Natürlich hatte die Landschaft Norwegens auch einen Einfluss auf unsere Entscheidung, wir lieben diese Natur dort oben, und sie schien uns passend um diese Erfahrung machen zu können. Das heißt allerdings nicht dass wir nicht vorhaben auch noch andere Gegenden zu bereisen, es gibt viele Orte auf dieser Erde die wunderschön sind. Zu der Geschichte und den Menschen haben wir keinen besonderen Bezug. Ich, Winterherz, interessiere mich allgemein etwas für Geschichte, insbesondere für die Germanische, und deshalb ist ein gewisses Grundinteresse vorhanden. Besonders da die Informationen zu den spirituellen Aspekten der germanischen Religion fast ausschließlich aus Skandinavien zu beziehen sind. Daraus ergibt sich aber nicht automatisch ein besonderer Bezug zu den Ländern.  

Sheol: Die Lyrics auf „Femundsmarka“ sind sehr puristisch gehalten (was im Vergleich zum Vorgängeralbum natürlich eine Umstellung bedeutet). Woran liegt das? Man hätte ja theoretisch die Natur auch mit vielen malerischen Worten umschreiben können, stattdessen wird nur das Elementarste erwähnt und auch das wird auf den Punkt gebracht ausgedrückt, statt es kunstvoll zu. Denkt ihr, die Essenz des Albums wirkt dadurch besser nach? Oder sollte das Augenmerk mehr auf der Musik liegen? Oder ist diese lyrische Reduzierung eventuell der Einfluss von P., der am Album als vollwertiges Mitglied mitwirkte? 

Winterherz: Die von dir wahrgenommene Reduzierung hat definitiv nichts mit dem Einstieg von P. zu tun. Und ich muss ehrlich sagen dass wir auch nicht den Eindruck haben unseren malerischen Ausdruck wirklich reduziert zu haben. Wir würden eher „ehrlicher, realistischer“ sagen. Das liegt darin begründet, dass es sich bei den Naturbildern auf „Herbstklagen“ um Traumwelten, und Bilder im Geiste handelt, während alle Beschreibungen auf  „Femundsmarka“ wirklich sind: Diese Orte gibt es dort, wir erzählen nur von wahren Eindrücken die wir in dieser unglaublichen Natur erlebt haben. 

Sheol: Welchen musikalischen Hintergrund hat P. überhaupt?  Hat er Musik studiert? Oder wurde er einfach durch Winterherz „angesteckt“ (wodurch er dann in Scarcross mitspielte)?

P: Nein, ein diplomierter Musiker bin ich nicht, aber glücklicherweise spielt das in den Künsten ja keine Rolle. Musik war für mich schon immer Lebensmittelpunkt, bis vor 2 Jahren jedoch hauptsächlich in der Rolle als Rezipient, nicht als Schaffender, was sicherlich dem Umstand geschuldet war, dass ich mit dem Keyboard schlicht und ergreifend das für mich falsche Instrument gewählt habe. Dieser Drang sich künstlerischen auszudrücken entstand erst durch die intensive Beschäftigung mit der Gitarre, wobei ich den Einfluss meines Bruders darin nicht schmälern möchte: Von seiner Erfahrung als Songwriter und Gitarrist konnte ich natürlich in meinem Werdegang profitieren, insofern kann man wohl durchaus davon sprechen, dass er mich "angesteckt" hat.

Sheol: Ihr seid Brüder und Freunde. Denkt ihr, dass nur durch diese Kombination das Album so intensiv wurde? Worin besteht das Besondere an dieser Kombination, rein musikalisch gesehen? Ich behaupte jetzt einfach mal frech (auch im Hinblick auf das erste Album „Herbstklagen“) dass Winterherz auch allein ein so intensives Album wie „Femundsmarka“ hätte schreiben können. P. sagte ja schon selbst in einem anderen Interview, dass „Waldgeflüster“ besser das „Baby“ von Winterherz bleibt.

Winterherz: Wir glauben schon dass diese Kombination vieles von dieser Intensität ausmacht. In ihr liegt so etwas wie ein blindes Verstehen des Anderen, wir können auf ähnliche Erfahrungswerte zurückgreifen und in diesem speziellen Fall auf ein gemeinsames Erlebnis. So eine Möglichkeit gibt es in einer herkömmlichen Band selten. Dies führte auch dazu dass wir musikalische Ideen des Anderen besser weiterführen konnten, und wir uns sehr gut ergänzt haben. Gleichzeitig ist es viel einfacher mit der Kritik des Anderen konstruktiv umzugehen, oder auch konstruktive Kritik zu leisten, wenn man zusammen aufgewachsen ist und genau weiß wie der andere tickt. Das macht vieles von der Intensität Femundsmarkas aus, das gemeinsame Feilen an Details und Ergänzen von Grundideen.   

P: Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Bruder ein ähnlich intensives Album hätte schreiben können, Herbstklagen beweist diese Tatsache ja eindrucksvoll. Nur wäre es in seiner Ausrichtung sicherlich ein anderes geworden. Besser oder schlechter, intensiver oder unintensiver spielt dabei erst mal keine Rolle. Was das gemeinsame Schreiben als Brüder angeht, so sehe ich darin auf jeden Fall eine gewisse Einzigartigkeit: Das gegenseitige Verständnis für den Geschmack des anderen ist durch die gemeinsame musikalische Entwicklung einfach sehr ausgeprägt und die Art der Beziehung lässt jegliche Hemmschwelle der Kritik verschwinden. Die Kombination dieser beiden Umstände hat es uns ermöglicht durch den anderen unser persönliches künstlerisches Potential weiter auszuschöpfen als das in Eigenarbeit je möglich gewesen wäre und es bestehen bereits Pläne auch in Zukunft weiter zusammen Musik zu machen. Ob nun unter dem Namen Waldgeflüster oder vielleicht in einem neuen Projekt ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärt.

Sheol: Winterherz hat in einem anderen Medium geäußert, dass diese Reise die brüderliche und freundschaftliche Verbindung noch vertieft hat. Da will ich nachhaken und etwas provozieren. 1.) Sind Brüder nicht sowieso im Herzen durch das selbe Blut tief und auf immer verbunden (auch wenn man sich im Alltag natürlich vielleicht mit den üblichen Streitereien konfrontiert sieht, die aber meist nur oberflächliches Gerangel sind und an denen man im Ernstfall wachsen kann)? 2.) Wie kann es sein, dass eine Reise eine Verbindung vertiefen kann? Muss die Verbindung nicht vorher fest und sicher gewesen sein? Man begibt sich auf so eine Reise doch nicht mit jemandem, in dem man nicht zu 100% einen vertrauenswürdigen Partner/ Freund sieht. 

Winterherz: Natürlich sind Brüder auf eine gewisse Art und Weise immer verbunden, wobei wir selten auf ein Brüderpaar treffen welches eine ähnliche tiefe Freundschaft verbindet wie uns. Und das ist vielleicht auch der Grund warum unsere Reise uns noch etwas näher gebracht hat, eben weil wir davor schon eine tiefe Freundschaft hegten, weil für uns nur der Andere als Partner für die erste Reise in dieser Form in Frage kam. Aber auch eine brüderliche Freundschaft kann eine gemeinsame Grenzerfahrung noch enger verbinden, und nichts Anderes war Femundsmarka für uns, eine gemeinsame Grenzerfahrung. Man hat Erfahrungen gesammelt und Orte gesehen, die niemand Anderes aus dem engeren Umfeld genau so erlebt hat, so etwas vertieft jede Beziehung.

Sheol: Seid ihr auf eurer Reise tatsächlich keinen anderen Menschen begegnet? Wie muss ich mir das vorstellen: wolltet ihr Natur pur und von dem leben, was die Natur euch anbietet? Oder hattet ihr Konserven usw. dabei?

Winterherz: Natürlich wäre es interessant gewesen von dem zu leben was die Natur uns anbietet. Allerdings wäre das für uns unmöglich gewesen, zum einen wegen mangelnden Wissens wie man sich in der Natur ernähren kann, zum anderen weil wir dann den Hauptteil unserer Reise mit Nahrungsmittelbeschaffung und nicht mit wandern und genießen verbracht hätten. Wir hatten also hauptsächlich Fertigprodukte dabei. Nach einem langen und anstrengenden Marsch schmeckt sogar das ausgesprochen gut. An Menschen haben wir tatsächlich nur ca. zwei pro Tag gesehen, an manchen Tagen auch niemanden. Man ist dort oben wirklich auf sich alleine gestellt.

Sheol: Auch interessiert mich, was es mit dem 7-tägigen (?) Marsch durch die Steinwüsten auf sich hat? Habt ihr freiwillig diesen Weg gesucht, oder hattet ihr damit nicht gerechnet, dass diese Passage auf euch warten würde? 

Winterherz: Uns ist nicht ganz klar wie du auf 7 Tage kommst. Die Steinwüsten beziehen sich auf mehrere kurze und lange Abschnitte in denen wir um uns herum nur Steine und Gras sehen konnten. Sie sind gewissermaßen Sinnbild für die anstrengenden und psychisch fordernden Teile unserer Reise. Uns war natürlich klar dass wir auf solche Landschaften treffen würden, mich hatte nur ihr Ausmaß ein klein wenig überrascht. 

Sheol: In einem anderen Interview hieß es, dieser Teil hätte euch nicht nur körperlich, sondern auch geistig an die Grenzen gebracht. Was bedeutet „geistige Grenzen“? Der Geist kennt keine Grenzen. Ich nehme an, es ging um Fragen wie die, ob man weitergehen soll oder ob man einfach länger rasten soll, bis die Kraft zurück ist bzw. ob man umkehren soll? Oder stand ein Aufgeben nie zur Debatte? Wie sich der körperliche Kampf äußerte (Schmerzen bei jedem Schritt usw.) ist mir klar. Aber über den geistigen Kampf möchte ich mehr wissen. 

P: Dass der Geist keinerlei Grenzen kennen sollte, wird sowohl durch die Einbettung des Denkens in Sprache als auch  die intersubjektive Natur der Realität zumindest fragwürdig. Diese allgemeine Formulierung würde ich so also prinzipiell nicht unterschreiben wollen. Aber von diesen geistigen Grenzen war natürlich in unserer Aussage nicht die Rede, die Probleme die uns an dieser Stelle der Tour beschäftigt haben hast du an sich schon recht gut dargestellt, die Mischung aus körperlicher Anstrengung und hauptsächlich wetterbedingter psychischer Zermürbung haben doch das ein oder andere mal dazu geführt, die gesamte Idee dieses Trips zu verfluchen. Aber im Überwinden seiner Selbst, in der Konfrontation dieser persönlichen Grenzen liegt wahrscheinlich die größte Erfahrung, der größte Reichtum den wir aus dieser Reise gewinnen konnten, insofern möchte auch keiner von uns beiden diesen Teil missen.

Sheol: In den Lyrics werden zur Landschaft der Steinwüsten auch Worte wie „bedrohlich“ oder „Hoffnungslosigkeit“ verwendet. Habt ihr vielleicht den Fakt unterschätzt, dass die Natur neben unendlicher Schönheit auch unendliche Macht und die ultimative Bedrohung bedeuten kann? 
Bietet letzteres nicht genauso die umwerfende Impression bzw. sogar das ultimative Gefühl, dass in der Natur im Moment der Gefahr aller Besitztum „zuhause“ bedeutungslos wird und man nur noch sich selbst hat, seinen Willen und seine antrainierte Kraft, um einer Bedrohung (ich sag’s mal theatralisch) in der Fremde, in der Weite, vielleicht auch im Dunkeln zu entkommen?

P: Von unterschätzen kann eigentlich nicht die Rede sein, uns war durchaus bewusst, dass wir uns bei unserer Tour der Natur in ihren positiven als auch negativen Facetten vollkommen ausliefern und ja, du hast durchaus recht: Gerade diese bedrohlichen Aspekte gilt es zu zelebrieren, wie bereits geschrieben, sich an ihnen zu messen und zu bestehen bedeutet inneres Wachstum, was zumindest eines unserer Ziele dieser Reise dargestellt hat.

Sheol: Das Schreien am Ende von „Seenland“ ist so intensiv, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie man sich dazu im Studio motivieren kann, alles so aus sich herauszulassen, wenn weitere Personen dabei sind, die mit der Emotion eigentlich nichts zu tun haben und diese vielleicht nicht verstehen. Dabei steht das eben erwähnte Stück stellvertretend für einige andere auf dem Album. Es ist sicherlich sehr persönlich, sich so zu öffnen und so zu schreien. Ich bewundere das, wie manche Musiker so was in einem (evtl. sterilen) Studio einfach so rauslassen können. Wie überwindet man die Schranke, um sich so öffnen zu können? Macht man sich Gedanken darüber, ob der ein oder andere denkt, „der Schreihals hat einen Sprung in der Schüssel“? 

Winterherz: Es ist immer schwierig als Sänger im Studio alles aus sich heraus zu lassen und es ist auch nicht gerade förderlich wenn viele Personen anwesend sind. Das nimmt die Intimität und man macht sich Gedanken darüber was die Anderen denken, und die eigene Performance kann darunter leiden. Deshalb waren wir bei den Aufnahmen zum Gesang auch völlig alleine, es erleichtert einem die Arbeit ungemein wenn man sich „fallen“ lassen kann weil man der anderen Person zu 100% vertraut. Die einzige Möglichkeit all diese Hindernisse zu überwinden liegt darin sich nur auf die Musik zu konzentrieren, das Drumherum abzuschalten und sich auf das Stück einzulassen. Es ist nicht immer leicht, aber es ist möglich dies zu erreichen. 

Sheol: Und um das mal fortzuführen: wie weit macht ihr euch Gedanken, ob und wer eure Musik mögen könnte und wer nicht? Einerseits ist ein Teil der Underground-Presse ja jetzt mal aufgewacht und hat erkannt, dass Waldgeflüster gute Musik machen (wenn auch nicht erkannt, dass das auch schon bei Scarcross der Fall war), andererseits habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie Konzertbesucher regungslos dastanden, als ihr „Nacht“ live performt habt, weil sie damit wirklich GAR nichts anfangen konnten. Inwieweit berührt euch das? Berühren euch negative Kritiken einzelner Schreiber? Schaut ihr in die Gesichter der Konzertbesucher beim Gig? Was für Gedanken macht man sich darüber, was bei wem wohl gut ankommt oder nicht? 

Winterherz: Ich glaube die Frage, wem die eigene Musik denn nun gefallen könnte sollte im Songwriting niemals eine Rolle spielen. Wir machen diese Musik aus einem inneren Bedürfnis heraus, nicht um Anderen zu gefallen. Wir brauchen diese Musik als Ventil, als eine Art von Therapie, deshalb würden wir auch Alben schreiben wenn dies niemand hören würde, wie es bei Scarcross ja lange Zeit der Fall war. Auf einem Konzert ist das natürlich etwas anders, dort hilft es uns auch ungemein wenn wir positive Reaktionen vom Publikum bekommen. Ansonsten hat man das Gefühl man hätte auch einfach nicht spielen können und sich selbst und den Zuschauern Zeit gespart. Was die von dir angesprochene Performance von „Nacht“ angeht bin ich mir nicht sicher wie genau das zu deuten war. Entweder hat das Publikum wirklich nichts mit dem Song anfangen können, oder es ist einfach kein Stück für Reaktionen, sondern zum Anhören. Nichts desto trotz, uns bedeutet der Song live sehr viel, deshalb werden wir ihn auch weiter spielen.
Um auf den Punkt mit den Kritikern zu sprechen zu kommen: Wie oben schon gesagt ist es uns grundsätzlich egal was die Leute von unserer Musik denken. Allerdings tut jede schlechte Kritik auf eine gewisse Art und Weise auch weh und deshalb sind uns schlechte Kritiken natürlich nicht vollkommen gleichgültig. Bei unserer Musik verarbeiten wir unser tiefstes Inneres, wir breiten in ihr unsere Seele aus, und deshalb ist jede Kritik an der Musik auch ein Stück weit Kritik an uns selbst. Und Natürlich kann das auch mal schmerzen. Meinem Erachten nach gibt es bei einer Band die behauptet ihr seien schlechte Kritiken vollkommen egal zwei Möglichkeiten: Entweder sie lügt, oder ihr bedeutet die Musik nicht genügend, sie ist nicht persönlich genug. Die Frage ist nur immer, wie gehe ich persönlich mit schlechten Kritiken um, was ziehe ich daraus? Versuche ich sie konstruktiv zu sehen, denke ich darüber nach ob einzelne Punkte zutreffen und versuche ich diese an mir als Musiker und Künstler zu arbeiten, oder versuche ich stur das zu machen was den Kritikern gefällt, und drifte somit in das was ich persönlich als Kommerz bezeichne?

Sheol: Verrät man als Künstler in den eigenen Songs eigentlich nicht zu viel von sich selbst und seinen tiefsten Emotionen? Macht man sich dadurch nicht unglaublich verletzlich? Wie geht ihr damit um?

P: Natürlich offenbart man der Öffentlichkeit einen sehr persönlichen Teil seiner selbst, man breitet sich und die eigene Gedanken aus, damit geht eine gewisse Gefahr einher. Wie Jan bereits geschrieben hat, negative Kritiken können durchaus zu einem selbst vordringen, sie können sehr verletzend wirken und wenn ich ganz ehrlich bin kann ich mit ihnen auch nicht sonderlich gut umgehen. Interessant ist dabei aber meiner Meinung nach, dass man den Hörer umso mehr berührt je mehr man sich selbst vor ihm ausbreitet. D.h. der potentielle Schaden wird dadurch zwar erhöht, aber gleichzeitig sinkt das Risiko, dass überhaupt ein Schaden zugefügt wird. Ein zweischneidiges Schwert also.

Sheol: Vorhin wurde der Track „Nacht“ erwähnt. Dieser scheint eine Hommage an Austere zu sein, die die Jugend von heute wohl eher nicht kennt. Mir persönlich gefallen sowohl Austere als auch „Nacht“, insofern war ich begeistert, dass das Stück live gespielt wurde. Aber wie fügt es sich ins Konzept von „Femundsmarka“? Oder betrachtest du es als Kontrapunkt? Wie viel bedeutet dir das Stück?

P: Ich würde Austere als 2007 gegründete Band zwar nicht direkt der "alten Garde" zuordnen und um ehrlich zu sein sehe ich bei weitem nicht genügend Ähnlichkeiten, als dass ich ihn jemals als Hommage an Austere bezeichnen würde. Aber gut, die depressive Ausrichtung des Songs lässt wohl diese Verbindung entstehen. Diese Grundstimmung lässt ihn zwar ein wenig aus den restlichen Songs herausstechen, aber gerade dadurch wird er zum unverzichtbaren Teil des Albums. Er bannt in sich die negativen Aspekte der Reise, im speziellen eine besondere nächtliche Situation, die wir versuchen im Begleittext näher zu beschreiben. Gerade für mich hatte besagte Situation und damit natürlich auch der Track starke Bedeutung und nimmt auf gewisse Art und Weise die Position eines psychischen Scheidepunktes unserer Reise ein.

Sheol: Ist euch eigentlich bewusst, dass ihr mit Waldgeflüster einen eigenen, unverkennbaren Stil erschaffen habt? So wie bei Primordial, wo man schon an den ersten 3 Sekunden eines neuen Songs erkennt, dass es Primordial sind. Natürlich denkt das jede Band von sich, dass sie ihren eigenen Stil hat, trotzdem klingen viele Songs anfangs so gleich, dass man unmöglich bei einem neuen Song die Band raten könnte, solange die Vocals nicht einsetzen. Bei Waldgeflüster ist das anders. Ihr seid so erfrischend unverkennbar und ich frage mich, was das Geheimnis dafür ist. Passierte das einfach zufällig durch das Songwriting aus dem Herzen heraus? Oder habt ihr direkt dieses Ergebnis gewollt und darauf hin gearbeitet?
Auch interessiert mich, ob so was aus dem Bauch heraus passiert, wenn z.B. in einem Song-Part 3 Gitarren gleichzeitig verschiedene Melodien spielen, oder ob so was geplant wird, um etwas besonders Atmosphärisches zu erschaffen. 

Winterherz: Mich  erfüllt es mit Stolz zu hören dass wir einen uns eigenen Stil geschaffen haben, vor allem in Hinblick darauf, dass dies nie mein Ziel mit Waldgeflüster war. Ich wollte immer nur die Musik schreiben die mir etwas bedeutet und die mich berührt, wenn sich das ähnlich zu anderen Gruppen anhört wäre mir das immer egal gewesen. Wenn mich ein Riff berührt, dann berührt es mich, gleichgültig ob damit etwas Neues und Originelles geschaffen wurde oder nicht. Mich freut es also dass wir scheinbar einen uns eigenen Sound kreiert haben, das ist ein großes Kompliment, somit danke dafür. Ein Geheimnis gibt es dafür nicht. Wir haben sozusagen „drauf los“ geschrieben. Die Musik und die Texte weisen einem den Weg, wir schreiben einfach nur was aus uns hinaus muss, weil wir so fühlen. Der Part mit den drei Gitarren ist ein gutes Beispiel dafür, daran war nichts geplant. Es gab das Rhythmus Riff und die große Frage wie wir dieses am Besten mit der zweiten Gitarre unterstützen. Wir ließen den Part im Loop laufen, hatten unsere beiden Gitarren in der Hand und unabhängig voneinander Melodien dazu gespielt die sich ähnlich, jedoch gegenläufig waren. Zu Testzwecken nahmen wir beide Riffs auf und spielten sie ab – Für uns klang es genial. Nicht nur musikalisch, nein es spiegelte auch unsere gemischten Gefühle zum Ende der Reise hin perfekt wieder. 

Sheol: Auf dem Album wird der Regen immer mit Strapazen verbunden (wahrscheinlich regnete es auch gerade beim Wandern durch die Steinwüsten, so dass ihr ihn wirklich satt hattet). Ich möchte jetzt wissen, ob ihr dem Regen nicht auch was Schönes abgewinnen könnt. 

Winterherz: Dem Regen kann man sehr viel Schönes abgewinnen. Er kann ein Symbol für Reinigung sein, für etwas Neues, er kann unheimliche Melancholie ausstrahlen und die Welt um einen herum entweder klein oder groß wirken lassen, je nach Situation und Stimmung des Erfahrenden. Die Frage ist nur immer die: kann ich für eine kurze Zeit in dieses Erlebnis eintauchen und mich dann wieder zurück ziehen, Betrachter sein, oder bin ich abhängig von ihm, muss mich darauf einstellen dass er bestimmt wie ich mich heute Abend fühlen werde? Nur im ersten Fall ist es möglich im Regen etwas Befreiendes und eine melancholische Schönheit zu finden.

Sheol: In „Seenland“ wird das Stichwort „Heimat“ erwähnt, welche man natürlich für die Reise hinter sich ließ. Was bedeutet Heimat für euch? Kann auch die Fremde Heimat sein?

Winterherz: Heimat ist etwas sehr wichtiges, es ist der Ort an dem man sich wohl fühlt, an dem man wirklich man selbst sein darf, an dem man weint und lacht. Auch in der Fremde kann man diese Form der Heimat finden, alles was es dazu braucht sind Personen die einem sehr nahe stehen, denen man vertraut. Ich denke wenn das restliche Umfeld dann ebenfalls zu der eigenen Persönlichkeit passt ist es auch Möglich in der Fremde eine gewisse Form von Heimat zu finden. 

Sheol: „Frei die Seele wie die Sicht“ heißt es in Seenland. Kann die Seele jemals frei sein?

P: Tja, diese Frage treibt die Philosophie schon seit Jahrtausenden um und eine Lösung steht bislang noch aus. Tendenziell würde ich mich wohl eher einem deterministischen, poststrukturalistischen Weltbild anschließen, soll heißen: Das Subjekt (die Entität, der besagte Freiheit zugeteilt werden müsste) entsteht erst durch die es begrenzenden Strukturen und verliert damit die Stellung als ontologischer Fixpunkt, als Primat der Erkenntnis. Diese radikale Subjektkritik nichtet natürlich jegliches freiheitliche Potential, insofern muss ich deine Frage wohl verneinen. Aber diesen ganzen pseudophilosophischen Betrachtungen zum Trotz: Das Gefühl der Freiheit in der beschrieben Situation war unbeschreiblich und treffender als mit diesem Satz konnte es Jan wohl nicht beschreiben.

 

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