Primordial

Gesprächspartner: Alan (A.A. Nemtheanga)/ Gesang, Mick (M. O'Floinn)/ Gitarre
Fragen von: Twilightheart

Alan und Mick backstage im "Backstage" in München während der "Heidenfest"- Tour, Nov. 2008:

Dieses Interview wurde während der Heidenfest-Tour aufgenommen. Leider waren die Aufnahmen unbrauchbar, da es zu viele Stimmen im Hintergrund gab. Aber im Nachhinein war es schade, die Aufnahme nicht zu nutzen, da viele der Fragen und Antworten nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Leider kam ich erst verdammt spät auf die Idee, doch mal die Jungs vom Helion-Studio in München zu fragen, ob sie nicht die Hintergrundgeräusche rausschneiden können. Natürlich konnten sie. Dank geht hiermit an Christoph, der das in seiner Freizeit und natürlich ohne Berechnung gemacht hat. 
Die, die in München an jenem Abend dabei waren, werden sich vielleicht erinnern, dass die Gigs erst nach Mitternacht beginnen durften, weil die Bayrische Regierung beschlossen hat, dass an jenem katholischen Feiertag eben bestimmte Events nicht stattfinden dürfen. Natürlich war es mir ein Bedürfnis, darüber auch mit Primordial zu reden. Der erste Abschnitt des Interviews bezieht sich also auf eben dieses Thema. 

Twi > Hast du das schon 'mal erlebt, dass ein Konzert aus solchen Gründen erst nach Mitternacht beginnen darf? 

Alan > Nicht wegen solcher Gründe. Wir haben ein paar Gigs gespielt, die nicht vor 5 Uhr morgens begannen, aber das war vor etlichen Jahren, in Spanien, Portugal und solchen Ländern.

Twi > Wann wusstet ihr, dass das heute so sein würde?

Alan > So gegen 3 oder 4 Uhr am Nachmittag begannen die Gerüchte, ich weiß es nicht genau, aber nach 3 oder 4 wussten wir dann Bescheid.

Twi > Habt ihr oder der Veranstalter darüber nachgedacht, die Auftritte ganz abzusagen?

Alan > Nein. So was kann man nicht absagen, solange es noch irgend einen Weg gibt, das Ding durchzuziehen. Es steckt einfach zuviel Geld drin. Die Bands müssen trotzdem bezahlt werden usw., der Bus muss bezahlt werden etc.

Twi > Ist dir klar, wer dafür gesorgt hat, dass das Ganze heute so gekommen ist?

Alan > Ich denke, es war die Regierung dieser Region, die entschieden hat, dass der Allerseelentag oder wie der heißt strenger durchgesetzt wird.

Twi > Zumindest findet heute in München ein Fußballspiel statt. Da beschwert sich auch keiner. Es geht also vielleicht eher darum, dass hier heidnische Bands auftreten. 

Alan > Ich weiß von einem Nachtclub, der letzte Nacht um Mitternacht geschlossen wurde. Da hat ein Hip Hop DJ aufgelegt. Die haben alles dichtgemacht und alle mussten gehen. Ich denke also, da ist jemand auf einem Kreuzzug.

Twi > Ich dachte halt, dass es dich aufregt, dass die Katholiken anderen das Feiern verbieten. Gestern war zum Beispiel ein Keltischer Feiertag, vielleicht feiern den manche ja jetzt am Wochenende nach. 

Alan > Das ist typisch für die heutige Gesellschaft. In Bayern wird man immer strenger. Aber die Hälfte oder die meisten der Leute, die da draußen auf den Gig warten, gehen eben nicht wählen und interessieren sich nicht für Politik. Und solange sie sich nicht für all das interessieren, wird immer wieder so was wie heute passieren, denn die Sache mit den Religionen wird immer stärker.

Twi > Wird der Auftritt heute deshalb kürzer sein als sonst?

Alan > Ja, 15 Minuten kürzer. 

Mick > Wir müssen zwei Songs weglassen. 

Twi > Das letzte Album braucht ihr ja nicht mehr zu bewerben. Trotzdem seid ihr auf Tour. Seid ihr jetzt unter die Bands gegangen, die ständig touren, um davon zu leben?

Alan > Nein. Wir touren ja auch nicht ständig. Ich meine, sieh dir zum Beispiel Rotting Christ an, die haben über 180 Shows gespielt, um das letzte Album zu promoten. Wir dagegen geben vielleicht 40 Konzerte. Wir können echt nicht mehr so oft auftreten. Als wir 20 oder 21 waren, hätten wir vielleicht gekonnt.

Twi > In euren Alben geht es oftmals um den Verfall der Gesellschaft und ihrer Werte. Was denkst du, ist der Grund für den Verfall? 

Alan > Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Es ist die allumfassende Auswirkung des westlichen Kapitalismus im Gegenspiel zu jeder Form der Spiritualität. Es ist der Tod der Gemeinschaft. Und es ist der Anstieg von Gier und purem Kapitalismus des Westens, denke ich. Zumindest werden in der westlichen Welt "Tugenden" wie Banalität und Mittelmäßigkeit als Lebensmodell aufrecht erhalten.

Mick > Da spielen so viele Gründe rein. Es hat auch was mit den Medien zu tun, mit den Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse, mit Geld usw. Da gibt es so viele Gründe für die Veränderung der Gesellschaft.

Twi > Vergesst nicht die Computer. Die Jungend von heute spielt lieber Videospiele anstatt mit Freunden in der Natur was zu unternehmen. 

Alan > Ja genau. Das nennt sich Gemeinschaft. Die Gemeinschaft ist nicht mehr das, was sie mal war. Ich erinnere mich, dass es bei uns mehr Gemeinschaftssinn gab, als wir noch arm waren.

Twi > Denkst du, die Welt wird jemals mehr so sein, wie du sie dir wünschen würdest?

Alan > Nein, wahrscheinlich nicht. Ich denke, wir haben real den Punkt, an dem wir noch hätten umkehren können, längst hinter uns gelassen. Seit Regierungen und politische Parteien ihre Macht an die großen Konzerne und die großen Geschäftemacher abgegeben haben, denke ich, dass deine Stimme keine Veränderung mehr herbeiführen kann. Ich denke, die Regierungen haben gar nicht mehr die Macht, etwas zu verändern, selbst wenn sie den Willen zur Veränderung haben. Meine Welt ist also sehr düster, sehr pessimistisch. Es gibt noch gute Menschen, die versuchen, Gutes zu bewirken, aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. 

Twi > Dann könntest du aber aufhören zu kämpfen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass du das machst.

Alan > Nein, mache ich nicht. Das kann ein Fall von "Du hast den Krieg verloren, aber diese eine Schlacht kannst du noch gewinnen" sein. 

Twi > Aber manchmal, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die jungen Menschen verstärkt heidnische Musik hören, könnte man doch meinen, es geht was voran.

Alan > Ja, das ist wahr. Ich denke, es gibt da einen unterschwelligen Strom der Positivität zumindest unter den Leuten, die sich mit ernsterer Musik beschäftigen als dem Zeug über Zombies oder Bier zu trinken. Aber zu viele wissen nicht, worum es geht. Ich weiß nicht, ob wirklich gemeinschaftliche, politische Motivation dahintersteckt, zum Heidenfest zu kommen. Na ja, zumindest für einige ist das noch so. Vielleicht sind wir auch deshalb heute hier. 

Twi > Blickst du auch so pessimistisch in die Zukunft wie Alan?

Mick > Auf die eine oder andere Art, ja. Ich meine, nichts ist jemals vollkommen hoffnungslos. Primordial ist nicht negativ. Zumindest nicht pessimistisch im negativen Sinne. Es hat eine düstere Sichtweise, aber es ist nicht komplett ohne Hoffnung. 

Twi > Sehe ich das richtig, dass erst nach den letzten beiden Alben das Interesse an euch gestiegen ist?

Alan > Das haben wir dem Label zu verdanken.

Twi > Werden die alten Alben neu veröffentlicht werden?

Alan > Ja, in der Zukunft. Alle Alben. 

Twi > Haben die Fans das gefordert?

Alan > Einige Leute waren 4 oder 5 Jahre alt, als wir das erste Album aufnahmen, somit hatten sie nie wirklich die Chance, unsere Musik zu hören. Vielleicht kennen die Leute deshalb nur die letzten 2 Alben.

Mick > Auf den Wiederveröffentlichungen wird es Bonus-Material geben, vielleicht sogar DVDs mit Live-Mitschnitten oder dergleichen. 

Twi > Ihr habt vor einiger Zeit auf dem "Heathen Crusade"- Festival in den USA gespielt. Wie kamt ihr bei den amerikanischen Fans an?

Alan > Die waren sich nicht sicher, was sie mit uns machen sollen. Da waren vor allem Zuschauer mit z.B. Dragonforce-T-Shirts. Aber es war ganz gut. Die Fans sind gut mitgegangen.

Twi > Bekommt ihr die Reaktionen einzelner Fans von der Bühne aus  überhaupt mit? Schaut ihr in einzelne Gesichter?

Alan > Definitiv, ja. Ich kann das sehen, wenn Leute von der Bedeutung der Songs emotional berührt sind. 

Twi > Hat schon 'mal jemand geweint?

Mick > Davon habe ich viele gesehen.

Alan > Ja, die Leute weinen. Das ist der Sinn unserer Kunst. Das ist Kunst, nicht Unterhaltung. Das macht den Unterschied, das ist es, was es voneinander abgrenzt. 

Twi > Und wie ging es dir dabei, als du einen der Fans weinen sahst?

Alan > Wenn du den Fans siehst, wie er sich in die Musik vertieft und emotional von ihr berührt wird, dann hat der Song seine Bestimmung erfüllt. Es ist eine gute Sache.

Twi > Einige irische Bands wie Clannad z.B. singen auf gälisch. Habt ihr einen Song in dieser Sprache gemacht? Ich weiß es gerade nicht.

Alan > Ein Song auf dem ersten Album ist in dieser Sprache.

Twi > Warum gibt es nicht mehr auf gälisch? Die Sprache klingt doch wundervoll. 

Alan > Alles, was ich auf irisch zu sagen hatte, war in diesem Song. Vielleicht gibt es mal wieder einen auf dem nächsten Album. Ich glaube, wir hatten schon 'mal wieder versucht einen Text auf gälisch zu schreiben, aber irgendwie hat das nicht wirklich gut funktioniert.

Twi > Ihr benutzt ja im Internet auch die englischen Kurzformen eurer Namen (wie Mick Flynn anstelle von M. O'Floinn). Warum benutzt ihr nicht den ganzen, ursprünglichen Namen?

Alan > In den Booklets der Alben benutzen wir die vollen Namen. 

Mick > Ich denke, das ist so eine BM-Sache. Das ist ja traditionell so, dass man im Web unpersönlicher bleibt. 

Twi > Die Bilder im Booklet zu "To the nameless dead" (wo zum Beispiel erhängte Menschen oder Tote auf einem Schlachtfeld zu sehen sind), woher habt ihr die Bilder? Sind das echte Fotos?

Alan > Die sind alle von mir. Ich habe sie im Internet oder in alten Büchern gefunden oder so. Zum Beispiel die Fotos der erhängten Menschen sind von der Ungarischen Revolution in den 50er Jahren, und die Menschen, die erschossen wurden, das stammt aus Mexico. Nichts ist woher du denkst, dass es ist. Einiges ist auch aus Irland. Aber das Meiste davon ist wirklich beabsichtigt. Ich wollte einen großen Schritt weg von dem typischen keltischen Design und dem ganzen Pagan-Gedöns machen. Ich wollte etwas richtig Brutales machen. Denn davon handeln die Texte. 

Twi > Gab es Reaktionen auf diese Bilder?

Alan > Einige Leute waren etwas überrascht. Das ganze Konzept des Albums handelte von der Entstehung der Nationen und Reiche, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, die Entwicklung der Staaten. Ich konnte das ganze Zeug mit muskelbepackten Kriegern mit Schwert in der Hand und dergleichen nicht mehr ertragen. Ein großes "Fuck you" an das ganze Zeug! Manche Leute meinen ja auch, wir singen über keltische Mythologie, aber dann sagen wir, dass das nicht so ist, außer vielleicht in 1 oder 2 Songs. Die Texte handeln von echter Geschichte, auch aktueller Geschichte, die gerade geschrieben wird. Von südamerikanischer Politik über die Politik des mittleren Ostens bis hin zur irischen Politik des 19. und 20. Jahrhunderts ist alles dabei, eine Menge unterschiedlicher Themen. Es geht nicht um etwas, was vor 3500 Jahren geschah. Und das wollte ich im Booklet reflektieren.

Mick > Universelle Themen eben.

Twi > In euren Booklets oder in Interviews versichert ihr immer wieder, dass ihr niemals Kompromisse eingehen werdet. Gab es denn schon Leute, die euch beeinflussen wollten?

Alan > Das gilt auch weiterhin. Wir werden unsere Musik immer wie am ersten Tag schreiben und niemals auf andere hören, die uns einreden wollen "Oh, ihr solltet dunkler klingen oder dies oder jenes machen". Wir lassen uns nicht beeinflussen und sind niemals Kompromisse eingegangen bezüglich unserer Visionen, wie unsere Band sein sollte oder unsere Musik klingen soll. 

 

Primordial live:

 

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